
Stellt euch bitte folgende Situation vor:
Ihr trefft euch mit einer Freundin im Café. Ihr habt beide eure Kinder mitgenommen. Da gutes Wetter ist, setzt ihr euch nach draußen um die Sonnenstrahlen genießen zu können. Natürlich ist das Café bei dem Wetter voll mit Mitmenschen, denen es genauso geht wie euch. Während ihr beiden euch über Gott und die Welt unterhaltet, sind eure Kinder nicht zum stillsitzen zu begeistern. Sie stehen auf und turnen etwas lauter um die Sitzgelegenheiten herum. Ich möchte behaupten, dass sich mind. 80% der Mitmenschen darüber aufregen. Und sind wir mal ehrlich mit uns selber- es würde uns nicht anders gehen. Der Stempel für die Kinder und die Mütter ist bereits auf der Stirn: kein Benehmen, keine Erziehung, keine Rücksicht, flegelhaft, können die nicht woanders hingehen….. und, und und…. Niemand von diesen Menschen weiß, was tatsächlich in diesen kleinen Wesen vorgeht und auch niemand würde für sich in Frage stellen, dass da etwas anders sein kann, wie bei deinen eigenen Kindern.
Aber genau dieses eine Kind hat Autismus. Von außen nicht gleich sichtbar. Für dieses Kind waren die Menschen vielleicht schon zu viel. Laute Geräusche, enge Räume, viele Menschen, blendende Lichter sind einige Merkmale, die für Autisten ein großes Problem darstellen.
Ich sprach mit einer Mutter, die einen autistischen Jungen hat. Sie bemerkte schon im Säuglingsalter ihres Kindes, dass er Kontaktprobleme hatte. Er wurde steif , wenn ihn andere berührten oder gar in den Arm nahmen. Immer wieder zeigte er überempfindliche Reaktionen bei Hautberührungen. Wenn er als Baby gekrault wurde, stellten sich auch da Verkrampfungen ein. Bei der Verwandtschaft traf sie oft auf Unverständnis, wenn sie erklärte, dass da etwas anders ist. Jeder wollte das Baby im Arm haben und streicheln und abknutschen( etwas überspitzt) , aber niemand verstand, dass dies nicht gut war für den Jungen.
Auch heute noch lässt er sich nicht anfassen und reagiert überempfindlich bei Berührungen. Bei fremden Personen meidet er jeglichen Blickkontakt. Lobt man ihn für besonders gute Leistungen z.B. in der Schule, kann er damit gar nicht gut umgehen. Sich in Gefühle reinzuversetzen oder nachzuempfinden ist bei ihm nicht möglich. Der Schulalltag stellt diese Kinder vor eine große Herausforderung. Geregelte Abläufe sind für ihn so wichtig. Jede Veränderung unterbricht den eigenen Ablauf und braucht ewig, bis sich auf die neue Situation eingestellt werden kann. Ohne eine Begleitung/ Integrationsfachkraft ist ein gewöhnlicher Schulalltag nicht denkbar. Schon eine Stundenplanänderung bringt diese Menschen aus dem Gleichgewicht. Von jetzt auf gleich hauen ihn einzelne Termine raus. Im Grunde kann es sein, dass ein morgendliches Aufstehen schon die erste Unruhe einbringt, so die Mama. Sie stellt sich morgens schon darauf ein, dass der erste Satz mit „ lass mich schlafen.. ich geh da nicht hin…“ beginnt. Als Mama ist sie schon morgens angespannt, obwohl sie weiß, dass sie tiefen entspannt reagieren müsste. Sie weiß, dass er böse geträumt haben kann, von Angst, Dunkelheit und bösen Tieren, hässlichen Fratzen und alles was ihn fertig macht. Oft steckt dort der Schulalltag drin. Mit dem morgendlichen Aufstehen läuft es auf keinen Fall wie von selbst. Oft sind schon Tränen zu sehen, vor Wut und Angst, weil er in die Schule muss. Hin zu den gefährlichen Tieren, die ihn jagen und hetzen und mobben. Die Liebe der Mutter wird in Frage gestellt. Oder warum sonst, würde eine Mutter, die ihr Kind doch liebt, in die Höhle des Löwen schicken? Gerne würde sie ihn jetzt in den Arm nehmen und sagen das sie keine andere Wahl hat, aber das wäre fatal, da er ja keine Umarmungen mag!!
Wie oft hat sie sich schon anhören müssen, dass sie streng und konsequent sein soll, gerade bei ADHS- Kindern, was er ja auch noch hat. Das ist leichter gesagt als getan. Es ist doch vergleichbar mit den Ängsten, die ein jeder von uns hat- Spinnenphobie, Höhenangst, Platzangst…. gehen wir deswegen Bungee jumpen oder steigen in einen Aufzug? Würden wir in ein Terrarium mit Spinnen gehen? Nein, natürlich nicht! Warum also sollte man einem Kind mit autistischen Zügen das antun?
In meiner Arbeit als Integrationskraft ist mir oft aufgefallen, dass diese Kinder zwei Persönlichkeiten haben, die wahnsinnig schnell umspringen können. Nett und wild, in sich gekehrt und laut. Oft wird man beschimpft, was man aber auf keinen Fall persönlich nehmen sollte. Mit der eigenen Lautstärke kompensieren sie letztendlich die Lautstärke, die von außen auf sie einströmt. Autistische Kinder sind sehr oft kreativ und das mit einer langen Ausdauer, wenn man sie dabei nicht stört. Konstruktionen aus Lego, Werken mit Holz, malen, sind Dinge, die diese Menschen wieder runterholen. Wichtig ist, diese Dinge zu erkennen und einzusetzen in der Arbeit mit autistischen Kindern. Immer wieder nach Rückzugsmöglichkeiten suchen und das Kind aus Stresssituationen herausnehmen um sie dann wieder einzugliedern, ist eines der immer wiederkehrenden Aufgaben eines Schulbegleiters. Gewährleistet dem Kind, das es konstante Bezugspersonen hat, die möglichst selten wechseln. Manchen von ihnen fällt es schwer, mit den Gefühlen und der Mimik seiner Mitmenschen umgehen zu können oder gar deuten zu können. Dafür kann man einen Mimikwürfel erstellen, auf dem verschiedene Gesichtsausdrücke ( Emojis) abgebildet sind. Erklärt ihm die verschiedenen Gesten so sachlich wie möglich.
Für autistische Menschen ist es sehr wichtig einen geregelten und strukturierten Tagesablauf zu haben. Ebenso müssen das Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen immer wieder aufgezeigt und gesteigert werden.
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Leben von einem autistischem Jungen. Sicher gibt es viel mehr Erfahrungen und Erlebnisse. Gerne dürft ihr hier eure Erfahrungen niederschreiben und zu einem Austausch anregen. Denn sind wir doch mal ehrlich, unter Gleichgesinnten fühlt man sich verstanden und aufgehoben. Für alle Anderen wünsche ich mir, dass sie den Blick erweitern und sich nicht von Momentaufnahmen leiten lassen. Der lieben Mutter, mit der ich ein intensives Gespräch führen durfte, ein herzliches Dankeschön!
Ganz kurz möchte ich noch die verschiedenen Erscheinungsformen von Autismus erklären.
der frühkindliche Autismus: ist eine der bekanntesten Autismus- Formen. Er heißt frühkindlich, da er sich vor dem 3. Lebensjahr bemerkbar macht. Charakteristisch sind erkennbare Kontaktstörungen durch das Fehlen jeglicher Reaktion auf Zuwendung der Umgebung, zwanghafte Spielgewohnheiten und übermäßige Bindung an Einzelobjekte, Schmerzunempfindlichkeit, Sprachentwicklungsstörungen
das Asperger Syndrom: fällt meist erst im Schulalter auf und die auffallenden autistischen Züge sind milder ausgeprägt als beim frühkindlichen Autismus.,. Hemmungen im emotionalen – affektiven Bereich, Tendenz zur Abkapselung und Selbstisolierung, abweichen desDenkens vom sprachlichen Handeln, Probleme im Trieb- und Gefühlsleben, durchschnittlich bis überdurchschnittliche Intelligenz. Asperger Autisten sind überwiegend Jungen
der A- typische Autismus: dieser Autismus wird dann diagnostiziert, wenn keine anderweitige Diagnose gestellt werden kann. Z. B. wenn nicht alle Kriterien des frühkindlichen Autismus erfüllt werden, die Symptome aber dennoch auf eine Diagnose im autistischen Spektrum hinweisen.
das Rett- Syndrom: ist eine weitere Autismus- Spektrum- Störung und betrifft fast ausschließlich Mädchen. Erste Symptome treten etwa zwischen dem 6. Lebensmonate und dem 4. Lebensjahr auf. Die normale Entwicklung kommt dabei zunächst zum Stillstand, danach bilden sich die Fähigkeiten wieder zurück.
( aus: tk./ rochlexikon, Schuster, Schirmer )
Buchtipps:
Daniela Streiter- Wie es ist anders zu sein
Dagmar H. Mueller , Verena Ballhaus- Davids Welt, Vom Leben mit Autismus