Was für ein denkwürdiger und emotionaler Monatswechsel. Wir schreiben Ende April, Anfang Mai. Während man in den Vorjahren meist den April mit einem schwingenden Tanzbein verabschiedete und den Mai mit einem kühlen Blonden und Bollerwagen begrüßte, sollte es dieses Jahr ganz anders sein. Und das nicht nur weil Corona es nicht zuließ das Tanzbein zu schwingen und man auf Wanderungen in dem Rahmen verzichten musste. Es lag allein an ganz verschiedene Begebenheiten, die uns emotional in ein Gefühlskarussell bringen sollten, die einem Tanz in den Mai gleich kommen.
Herumgewirbelt wie in einem gut eingeübten Foxtrott mit Drehungen, die nach Ausdauer und einen langem Atem verlangen., fühlte sich die ankommende Briefsendung vom Amtsgericht an. Noch eben zum Monatsende bekamen wir die Information, dass unser Adoptionsantrag endlich beim Amtsgericht gelandet ist. Wieder ein Schritt näher- fast.. nur fast… bevor das Amtsgericht weiterarbeitet, müssen dann mal noch ein paar Unterlagen her: Meldebescheinigung, Führungszeugnis und ein Gesundheitszeugnis aller Beteiligten sollten innerhalb von vier Wochen vorliegen. Bis das so weit ist, sind einige Drehungen auf dem Tanzparkett erforderlich. Einige Schrittfolgen sind da nötig, denn ein Teil der Kinder ist arbeiten und die Ämter haben ja gerade nicht alle den offenen Zutritt. Man muss viel telefonieren und nichts geht ohne Termin. Wir hoffen, dass sich die Atmung nicht überschlägt und alles rechtzeitig bis zum letzten Ton in guter Schrittfolge erbracht werden kann. Der Vater der Kinder wurde auch angeschrieben um eine Stellungnahme abzugeben. Meldet er sich innerhalb von zwei Wochen nicht, willigt er automatisch in die Schrittfolge ein. Das wiederum glaube ich persönlich nicht und da wird die Ausdauer und ein langer Atemzug nötig sein. Ich weiß nicht was in seinem Kopf vorgehen wird. Welche Drehung wird er bevorzugen? Wird er sich verschlingen oder stolpern? Oder wird sein Atem nicht lang genug sein. Er war nie ein guter Tänzer, aber wenn es darum ging seinem Jähzorn Platz zu machen, kam er auf die unmöglichsten Umdrehungen, die ihn genau in diese jetzige Position brachten. Wie dem auch sei, begleitet von einem mulmigen Gefühl, das einem verrauchtem Tanzlokal gleicht in dem alle Luft durch verschwitzte Tanzeinlagen verbraucht ist, werden wir unsere Schrittfolge einhalten.

Nach diesem Schwung an Emotionen, sollte noch ein Trommelwirbel folgen, der eine Aufruhr in uns auslöste und letztendlich in einem derart langsamen Walzer endete, das die Schrittfolgen und Atemzüge fast zum Stillstand brachten. Unser Kater machte uns mitten in der Nacht wach. Er konnte nicht mehr gehen und sein Hinterteil wahr wie gelähmt. Er hechelte vor sich hin, als wenn er einen Marathonlauf hinter sich hatte. Nie zuvor habe ich ihn so gesehen. Wir konnten ihm nur gut zusprechen und ihn beruhigen. Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass er die Nacht überlebt. Wir wussten nicht einmal, was er hatte. Den ganzen Tag vorher waren keine Anzeichen erkennbar. Es ging ihm doch gut. Er hatte gefressen, gespielt, geschnurrt … alles was eine Katze so in ihrem Rhythmus des Katzendaseins so tut. Die Nacht hatte er also überlebt, aber auch der Morgen des neuen Monats brachte keine Besserung ans Tageslicht. Ich fühlte mich noch wie besoffen nach der Nacht, und das ohne einen Tropfen Alkohol zu mir genommen zu haben. Der Gang zum Tierarzt war unabdingbar und jeder von uns ahnte, dass dieser langsame Walzer wohl eher in einer Trauermelodie enden wird. Es war der richtige Weg: der Kater hatte einen Herzfehler, von dem niemand was ahnte und einen Schlaganfall, den niemand mitbekommen hatte. Wenn Tiere doch nur reden könnten …. vielleicht wollte er auch garnicht, dass wir was mitbekommen. Umso schwerer fiel der Abschied. Der Tag war so schwer in uns. 13 Jahre hatten wir ihn bei uns und jetzt mussten wir ihn gehen lassen. Das kühle Blonde am 1.Mai sollte dann wohl ganz auf ihn gehen. Eine Wanderung über die Regenbogenbrücke, die er nicht alleine ging. Aber am Ende des Regenbogens wird er neue Freunde finden, die mit ihm durch eine friedliche Welt ohne Leiden wandern werden. Und so müssen auch wir weiter wandern.
Eine weitere Wanderung erfolgte noch am selben Tag. Diese war rein familiär und im allerengsten Familienkreis meines Mannes. Ich möchte darüber keine Details verlauten lassen, weil es zu privat ist und hier nichts zu suchen hat. Aber soviel sei gesagt: es gibt Wanderungen im Leben eines Menschen, einer ganzen Familie, die einer Landkarte ähneln. Das Leben durchlebt mit vielen Höhen und Tiefen, Berge die erklimmt werden müssen; Pfade die gegangen werden, mit und ohne Hindernisse, großen wie kleinen Hindernissen; am Wegesrand stehen Bänke, die nach Erholung und Ruhepause schreien, damit die nächste Steigung erklommen werden kann. Mittendrin kleine Seen, die die Tiefe unserer Seele widerspiegeln und einen Fluss, der gleichsam in ruhigem Treiben neben uns her fließt. Dörfer und Städte finden sich auf dieser Landkarte ebenso wieder, wie Straßen in jeglicher Art. Durch all die Straßen geht ein jeder von uns. Mal sind wir unterwegs auf der Schnellstraße, die unser Leben nur so abhetzen lässt und einer andermal hinterlegen wir eine kurvenreichen Strecke, wo wir nicht wissen was sich dahinter befindet. Kreuzungen an denen wir entscheiden müssen, ob rechts oder links der bessere Weg ist und vielleicht endet man manchmal in einer Sackgasse oder gar in einem Kreisverkehr, wo jede Ausfahrt gleich scheint und doch sich jeder Weg anders gestalten wird. Und am Ende eines jeden Weges , einer jeden erstellten eigenen persönlichen Landkarte wird man hoffentlich heimisch in seinem Dorf oder seiner Stadt, in der Familie einen Ursprung hat.- seine Familie. Und in jeder Familie gibt es Gedanken, die man entweder für sich behält oder aber mit ihnen teilen möchte. In dem Fall wurden Gedanken geteilt und besprochen. Es war beeindruckend für mich, obwohl ich nicht bei dem Treffen dabei war. Das war es deswegen, weil ich es meinem Mann so gegönnt habe. Nie habe ich solche Gespräche kennengelernt bei meiner Ursprungsfamilie. Gespräche, die mir gezeigt hätten, dass eine Familie, egal welche Wege jeder einzelne gegangen ist, eine Familie bleibt. Werte, die man mit nichts auf der Welt bezahlen kann, außer mit gesagten Worten und einem Leben das einer Landkarte gleicht, auf der die Wanderungen sichtbar gemacht werden. Ich habe meine Familie gefunden und meine Familie gegründet auf einer ganz eigenen Landkarte. Diese Art der Gespräche brauchte ich bis dato nie beisitzen und auch nicht selber führen, aber sie haben mich für meinen Mann beeindruckt. Seine ganz eigene Wanderung, wo emotionale Gedanken wie kleine Seelenpfade sich durch die Landkarte des Lebens schlängeln.
Was für ein Monatswechsel!